24.02.2015
BlogDossier 1 - BildungDossiers
Digitale Tools heben etablierte Lernkonzepte auf eine neue Ebene: Plattformen werden zum gemeinsamen Erarbeiten von Lerninhalten eingesetzt, Games dienen zur Wissensvermittlung, und nicht zuletzt bildet das Internet selbst die größte Recherchequelle, auf die Menschen jemals zugreifen konnten.
Im Jänner dieses Jahres war Margret Rasfeld, die Leiterin der Evangelischen Schule Berlin Zentrum mit zwei ihrer Schülerinnen zu Gast bei den Alpbach Talks. An dieser Schule gibt es Fächer mit Namen wie „Verantwortung“ oder „Herausforderung“. Bei ersterem geht es darum, dass Schülerinnen und Schüler eine verantwortliche Aufgabe im Gemeinwesen suchen. „Herausforderung“ geht noch einen Schritt weiter. In drei Projektwochen wird gemeinsam an einer selbst gewählten Aufgabe gearbeitet: In einer kleinen Gruppe mit dem Fahrrad nach Paris, per Kanu von Berlin an die Ostsee oder Arbeit auf einem Reiterhof in Brandenburg. Die Schülerinnen und Schüler organisieren die Herausforderung selbst und müssen mit 150 Euro Projektbudget auskommen. Auf den ersten Blick hat das wenig mit Digitalisierung zu tun. Bei genauerer Betrachtung lässt sich die Erkenntnis, die dem neuen Schulfach zugrunde liegt, auf die Digitalisierung umlegen. Wir wissen aus der Hirnforschung, dass man nicht durch Auswendiglernen lernt, sondern durch Erfahrung. Das Prinzip „Learning by doing“ lässt sich durch digitale Tools relativ einfach in den Schulunterricht integrieren. Diese bieten auch zahlreiche neue Möglichkeiten, sich Wissen und Kompetenzen selbst oder in Gruppen anzueignen. Die Digitalisierung und der mit ihr einhergehende Wandel stellen einerseits neue Herausforderungen dar, andererseits bieten digitale Lerntools auch Ansätze, um ihnen zu begegnen.
Die Idee des Physiklernspiels „Ludwig“ ist eine riesige Herausforderung: „2098. Die Menschheit hat alle fossilen Brennstoffe der Erde aufgebraucht und ist dazu gezwungen, auf riesigen Stadtschiffen in der Erdumlaufbahn zu leben. Durch einen Zusammenstoß mit einem unbekannten Flugobjekt ist eine Notlandung unvermeidbar. Doch ohne einen Helfer auf der Erde ist das so gut wie unmöglich…“. Die Spielerinnen und Spieler wenden die im Lehrplan für die fünfte bis achte Schulstufe festgelegten Inhalte konkret an. Sie führen den kleinen Roboter Ludwig durch vier verschiedene Themenwelten (Energie durch Verbrennung, Wasserkraft, Sonnenenergie und Windkraft) und erforschen dabei spielerisch physikalische Phänomene. Das Computerspiel, in Österreich offiziell als Lehrmittel zugelassen, istmittlerweile an mehr als 500 österreichischen Schulen im Einsatz und in etliche Sprachen übersetzt (u.a. Chinesisch). Ludwig wurde von der österreichischen Agentur ovos in Kooperation mit zahlreichen Partnern aus Wissenschaft und Pädagogik entwickelt. Aus dem Hause ovos gibt es noch viele weitere Anwendungen, die auf Game Based Learning bzw. Gamification setzen. Dem geschäftsführenden Gesellschafter Jörg Hofstätter ist eines besonders wichtig: „Der spielerische Umgang mit Lerninhalten kann im besten Fall Lust auf intensivere Beschäftigung mit der Materie machen. Da reicht es aber nicht, Brokkoli, der den meisten Kindern nicht schmeckt, mit ein wenig Schokoladeglasur zu versehen.“ Es geht also beim Design der Spiele sehr stark darum, ein Szenario zu entwickeln, das die Spielerinnen und Spieler anspricht. Dann beschäftigen sie sich auch gerne und intensiv damit. Sie brauchen dafür auch keinerlei Vorkenntnisse. Das zeigt etwa das aktuelle Projekt von ovos: Das Sprachlernspiel „Lern Deutsch“ richtet sich an Menschen, die noch keinerlei Vorkenntnisse der deutschen Sprache haben. Im Spiel bewegen sie sich in einer typischen (virtuellen) deutschen Stadt und lernen dabei die wichtigsten 200 Begriffe der deutschen Sprache. Die Nutzungsstatistiken belegen den Erfolg des Konzepts: Die durchschnittliche Nutzungsdauer pro Session liegt bei knapp 20 Minuten – also deutlich höher als bei den meisten Apps.In den ersten zwei Monaten haben 10.000 Menschen aus aller Welt „Lern Deutsch“ gespielt. Insgesamt konnten schon 1,6 Millionen erfolgreiche Wort-Interaktionen festgestellt werden. Diese Zahl repräsentiert die Gesamtzahl der im Spiel gelernten Wörter.
Am Beispiel von „Lern Deutsch“ lässt sich erkennen, dass selbstorganisiertes Lernen in der digitalen Sphäre sehr einfach ist. In diesem Fall genügt der Download einer App, deren Anwendung selbsterklärend ist. In anderen Fällen geht es möglicherweise darum, Informationen zu bestimmten Themen online zu recherchieren. Für andere Themen wird vielleicht die Registrierung auf einer E-Learning-Plattform nötig sein. Grundlage für selbstorganisiertes Lernen im Netz – in welchem Kontext oder in welcher Tiefes es stattfinden mag – ist aber ein Mindestmaß an Anwendungskompetenz und eine kritische Reflexion der jeweiligen Anwendungen. Nicht alles, was im Netz zur Wissensvermittlung angeboten wird, hat auch die entsprechende Qualität. Bei erwachsenen Menschen sollte die Fähigkeit zur Quellenkritik zum Basisrepertoire gehören. Für Jüngere sollten Pädagoginnen und Pädagogen sowie Eltern diese Aufgabe übernehmen. Das Internet bietet Lernangebote für nahezu jedes Thema. Manche davon sind explizit als solche ausgewiesen. Andere wiederum sind „nur“ mehr oder weniger gut aufbereitete Informationen zu bestimmten Themen, die Lernende selbst in Zusammenhänge setzen müssen.
Einer der großen Vorteile des Internets liegt genau darin, Zusammenhänge herzustellen. In der einfachsten Form sind das Hyperlinks, die auf andere Dokumente verweisen. Mittlerweile gibt es eine nahezu unüberschaubare Vielzahl an Plattformen, die Menschen zur Zusammenarbeit und zum gemeinsamen Lernen dienen. Auch dabei geht es darum, Zusammenhänge zwischen einzelnen Beiträgen herzustellen und sie zu einen größeren Ganzen zusammenzufügen. An erster Stelle sind hier Lernwikis zu nennen. Wie bei der großen Online-Enzyklopädie wird hier gemeinsam an Inhalten gearbeitet. Wer etwas zum Thema beitragen kann, fügt das an passender Stelle ein. Die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer überprüfen die neuen Inhalte und ändern sie gegebenenfalls ab. Letztlich profitieren alle von diesem Prozess, bei dem sie nicht aus Schulbüchern lernen, sondern sich selbst als Verfasser_innen betätigen. Neben Wikis, die meist extra für Lernprojekte aufgesetzt werden, gibt es bei fast allen E-Learning-Plattformen Möglichkeiten zum Austausch zwischen den Lernenden.
Wenn in Österreich von Bildung die Rede ist, dann kommt sehr schnell der Punkt, an dem die große Reform gefordert wird. Ein Ruck müsse durch die österreichische Bildungslandschaft gehen und es bräuchte mehr Schulen, an denen „Verantwortung“ oder „Herausforderung“ am Lehrplan stehen. Das mag richtig sein. Aber in vielen Bereichen müssen wir gar nicht auf die große Reform warten. Es genügt, die bestehenden Instrumente einzusetzen. Viele davon sind nach dem Prinzip von Open Educational Ressources (OER) frei verfügbar. Viele brauchen den Stempel als Unterrichtsmaterialien gar nicht. Es gibt im Rahmen der bestehenden Bildungsinstitutionen bereits jetzt viele Möglichkeiten, die wir nutzen können und sollen; ob selbstorganisiert oder im Rahmen des Unterrichts. Die Voraussetzungen dafür sind: Zugriff auf das Internet, Basiskompetenz in der Anwendung digitaler Tools und ein wenig Mut, Neues auszuprobieren. Wie schon geschrieben: Die Digitalisierung bringt nicht nur einen grundlegenden Wandel mit sich, sie liefert uns auch die Tools, sie mitzugestalten.
Mehr über den Wienbesuch von Margret Rasfeld und ihren Schülerinnen: „Zwei neue Schulfächer“ in der Wiener Zeitung
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