16.12.2015

Die Macht der Community / #Dossier_Arbeitswelt #12

BlogDossier 2 - Arbeitswelt

Intelligenz der Masse? Die Digitalisierung bringt das Sender-Empfänger-Modell der Massenkommunikation ins Wanken. Wie groß der Einfluss der Community ist, ist an viele Stellen zu sehen: egal ob es um gemeinsam finanzierte Projekte oder um Shitstorms in der Social Media Kommunikation geht – die Digitalisierung bricht die klassische Sender-Nutzer-Kausalität auf und schafft neue Möglichkeiten, sich als Teil einer Community in Prozesse und Kommunikationsverläufe einzubringen. Der Begriff Crowdsourcing fasst das Phänomen zusammen, das Wissen, die Meinung und auch finanzielle Mittel der Community anzuzapfen und zu nutzen. Aus dieser Dynamik heraus sind eine Vielzahl an Ideen, Projekten und Initiativen entstanden, sie birgt aber auch Risiken.

Der Einfluss der Crowd

Der Begriff der Crowdsourcing wurde durch den Wired-Journalisten Jeff Howe erstmals 2006 eingeführt und geprägt. Das wohl bekannteste Beispiel eines derart kollaborativ organisierten Prozesses: Wikipedia. Die Idee dahinter: das Wissen der NutzerInnen anzuzapfen, um von ihnen verfasste, enzyklopädische Artikel zu sammeln und zu veröffentlichen. Die so genannte Schwarmintelligenz endet hier jedoch noch lange nicht. Längst wird das Publikum auch von Unternehmen und Investoren als Potential wahrgenommen, Ideen zu entwickeln und ihre Massen-Tauglichkeit zu überprüfen. So kann sie beispielsweise eine Rolle in der Produktentwicklung spielen. Weitere Ausprägungen von Crowdsourcing stellen Crowdtesting (im Zuge dessen das Testen neuer Software an die NutzerInnen ausgelagert wird) und Crowdfunding dar.

NutzerInnen als InvestorInnen

Crowdfunding-Experte und –berater Wolfgang Gumpelmaier beschreibt in einem Artikel Crowdfunding als „innovative Form der Projektfinanzierung, bei der viele Menschen gemeinsam eine Idee oder ein Produkt finanziell unterstützen. Die Online-Crowd, also die breite Masse der Internet- Nutzer_innen, investiert dabei in ein Projekt und ermöglicht damit dessen Durchführung.“

Im Interview erklärt Gumpelmaier: „Grundsätzlich kann man fast alles via Crowdfunding finanzieren. Von der Kreatividee, über soziale Projekte bis hin zu Startups und Unternehmen. Das zeigt auch die Vielfalt an Crowdfunding-Plattformen, von denen weltweit mittlerweile über 1.200 existieren. Darunter gibt es Plattformen nur für Musik- oder Film-Projekte, für Journalismus, für Sport, für Medizin, für nachhaltige Projekte und so weiter. Wichtig ist aber vor allem eines: die Projektinhaber sollten Crowdfunding verstehen und es nicht nur als reine Gelddruck-Maschine sehen. Dazu gehört, dass man auch andere Projekte unterstützt, sich mit dem Thema beschäftigt und vor allem eine Crowd mitbringt.“

Eine der bekanntestes Plattformen für Crowdfunding-finanzierte Projekte ist Kickstarter, das seit Juni diesen Jahres auch in Österreich zur Verfügung steht. Für viele Startups stellen Plattformen wie Kickstarter oder Indiegogo eine Möglichkeit dar, ihr Projekt ohne Kredit oder Groß-InvestorInnen zu finanzieren. Nebenbei können Aufmerksamkeit und Vorfreude der NutzerInnen geschürt und das Konzept des Projekts auf Markttauglichkeit überprüft werden. Für die Smartwatch Pebble konnten durch Crowdfunding 14 Millionen Euro lukriert werden. Als „Belohnung“ winken den InvestorInnen meist neben dem Produkt selbst weitere Belohnungen, oft gestaffelt nach Höhe des Investments.

Crowdfunding in Österreich

In Österreich ist Crowdfunding mittlerweile auch angekommen, wenn auch zögerlich: „Gegenüber den USA sind wir in Österreich und Deutschland Crowdfunding gegenüber noch sehr skeptisch, denn Geld geben war bisher eine Sache für Investoren oder des Staats. Aber man sieht, dass das Jahr für Jahr besser wird“, meint Wolfgang Gumpelmaier. Auch die Journalistin Elisabeth Oberndorfer, die in den USA lebt und vor kurzem ihr Buchprojekt „Let’s do this, New York“ mittels Kickstarter finanzieren konnte, bemerkt einen länderspezifischen Unterschied: „Im Vergleich mit Österreich sind die Menschen in den USA viel generöser. Es herrscht dort viel mehr die „pay it forward“-Mentalität und auch der „giving back to the community“-Gedanke.“

Welche Erfolgsgeschichten aus Österreich gibt es? Wolfgang Gumpelmaier: „Zu den Top Projekten in 2015 zählt z.B. die Crowdinvesting-Aktion von Rapid, bei der innerhalb weniger Tage 1 Million Euro eingesammelt wurde. Aber auch Projekte wie der verpackungslose holis market haben viele Leute begeistert.“

Die Zukunft der Community

Durch die Community wahllos Projekte finanzieren? Ganz so einfach ist es nicht. Crowd-Aktivitäten bergen auch Risiken in sich. Der hohe Betreuungsaufwand und die Gefahr eines möglichen Reputationsverlustes, wenn das Ziel nicht erreicht wird, sind zwei davon.  Dennoch trauen sich auch immer mehr Unternehmen, ihr Publikum in Entstehungs-, Entscheidungs- und Finanzierungsprozesse miteinzubeziehen. Wie es weitergehen wird? „Dass die Popularität am Höhepunkt ist, glaube ich nicht“, meint Wolfgang Gumpelmaier. „Die meisten Österreicher wissen noch immer nicht was Crowdfunding ist, geschweige denn kennen sie die unterschiedlichen Ausprägungen. Als Crowdfunding-Berater und Vortragender bemühe ich mich aber seit Jahren, dass das besser wird. Und es wird auch besser.“

 

Interview mit Elisabeth Oberndorfer 

Du hast dein Projekt „Let’s do this, New York“ mittels Kickstarter finanziert.  Erzähl bitte kurz, wie es dazu kam.
Die Idee zu dem Guide selbst hatte ich gemeinsam mit der Kommunikationsstrategin Melinda Borzsak-Schramm, als wir einen Trip nach NY planten. Damals hatten wir noch nicht über Crowdfunding nachgedacht, der Anstoß dazu kam dann eigentlich, als ich eine Story über Kickstarter gemacht habe und mit den Leuten dort gesprochen habe. Danach hatte ich das Gefühl, dass sich so ein Projekt sehr gut dafür eignen würde. Unsere Motivation war auch, Vorbestellungen für das Buch zu generieren und auch Sponsoren zu finden.

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Für welche Art von Projekten ist Crowdfunding deiner Meinung nach besonders geeignet?
Mein größtes Learning ist, dass Buchprojekte sehr schwierig für Crowdfunding sind. Am besten funktioniert meiner Beobachtung nach noch immer Hardware und Gadgets, da sehen die Leute schneller einen Nutzen. Und sie geben schneller Geld dafür aus als für Content-lastige Projekte wie Bücher oder Filme.

Du lebst in den USA – hast du das Gefühl, dass dort die Bereitschaft der Menschen, Projekte mitzufinanzieren, größer ist als in Europa bzw. Österreich?
Ich kann nicht für Europa sprechen, aber im Vergleich mit Österreich sind die Menschen in den USA viel generöser. Es herrscht dort viel mehr die „pay it forward“-Mentalität und auch der „giving back to the community“-Gedanke. Das heißt, man weiß, dass man sich nicht immer direkten ROI erwarten kann, aber viele Dinge einfach wegen der guten Sache unterstützt. So denken die Österreicher eher nicht.

Hast du weitere Erfahrungen gesammelt oder sind dir andere Projekte in Erinnerung, bei denen dir die „Macht der Crowd“ besonders stark aufgefallen ist? (Bsp. aus Österreich?)
In der jüngeren Vergangenheit hat mich das Crowdinvesting-Projekt von SK Rapid sehr beeindruckt. Ich denke, das sagt aber weniger aus, dass Österreicher jetzt bereit für das Thema sind, sondern hier die starke Marke und Fan-Verbundenheit verantwortlich für den Erfolg war.

Kickstarter und andere Finanzierungsplattformen erleben gerade eine große Popularität – was glaubst du, wie es hier weitergehen wird? Wird sich der Trend noch verstärken und wird die Popularität wieder zurückgehen?
Sam Altman, der Geschäftsführer des Startup-Inkubators YCombinator im Silicon Valley, hat letztens gemeint, er sieht noch großes Potenzial im Crowdfunding. Ich habe hingegen das Gefühl, dass der Markt immer schwerer wird. Einerseits poppen immer mehr Portale auf, andererseits auch viel mehr Kampagnen. So ist es schwer, Aufmerksamkeit zu erreichen. Außerdem ist der erste Hype abgeflaut und die Leute werden selektiver bei dem, was sie unterstützen. Ich denke, künftig werden sich neben den großen Anbietern Kickstarter und Indiegogo immer mehr Plattformen etablieren, die auf bestimmte Produktkategorien spezialisiert sind.

Quellen:

Chancen und Risiken von Crowdsourcing in der Produktentwicklung

10 gute Gründe für Crowdfunding

Das neue Arbeiten (pdf) 

No risk, no fun? Chancen und Risiken von Crowdfunding

Crowdsourcing für Unternehmen (pdf)

Die größten Crowd-Kampagnen aus Österreich 2015