Eine Gesellschaft, die mit Dienstleistungen, Support und Service innerhalb kürzester Zeit rechnet, steigen die Erwartungen enorm. Einige dieser Bedürfnisse unserer modernen Zeit können mithilfe von digitalen Instrumenten schon gut erfüllt werden. E-Mails von unterwegs beantworten, Dokumente über jedes Device problemslos verschicken, Freigaben von jedem Ort der Stadt aus tätigen.
Darüber hinaus fehlen aber teilweise noch die grundlegenden Strukturen, die das neue Arbeiten an der Basis definieren und für alle Teilhabenden ein harmonisches Umfeld schaffen. Aktuell drehen sich nur einzelne Schrauben, das heißt, zum Beispiel: Wir sind immer verfügbar, erledigen Arbeit von unterwegs, außerhalb des Büros und oft außerhalb unserer Arbeitszeit. Berücksichtigt werden diese Leistungen aber oft noch nicht. Sobald Unternehmen einen Weg gefunden haben, diese neuen Arbeitsweisen in ein passendes Arbeitsmodell zu gießen, kann für beide Seiten eine angenehme und selbstverantwortliche Arbeitsumgebung entstehen.
Susanne Liechtenecker, CMO bei liechtenecker, Mitbegründerin von digitalista und Mama über Vereinbarkeit von Job und Familie in einer digitalisierten Arbeitswelt:
"Der Vorteil für mich als Mutter ist jener, dass ich nicht völlig aussteigen muss vom Job. Ich kann trotzdem erreichbar sein, mir die Zeit flexibel einteilen und von überall arbeiten. Das kann entlasten, weil man sich so manches frei einteilen kann.
Der Nachteil ist, dass man sich weniger leicht aus dem Geschehen rausnehmen kann. Das muss man schon sehr bewusst entscheiden und dieser Schritt fällt oft nicht leicht. Das kann zu einem Gefühl der Überbelastung führen.
Bei mir hat sich ein starker Wechsel in den Arbeitsgeräten ergeben. Mein Laptop wird viel weniger genutzt, dafür ist mein Smartphone wichtiger und praktischer als je zuvor, denn damit lassen sich in fast jeder Lebenslage - sei es beim Stillen, beim Spaziergang im Kinderwagen oder am Spielplatz und vor allem immer auch einhändig - Mails bearbeiten oder Recherchen durchführen.
Jetzt nach etwas mehr als einem Jahr und wieder mehr Flexibilität dank Kinderbetreuung bin ich wieder präsenter im Büro. Dennoch ist für mich auch eine fixe Arbeitszeit abends sobald der Kleine im Bett ist eingeplant."
Die neue Arbeitswelt als Prekariat?
Die Diskussion über die Flexibilisierung der Arbeit fand anfangs sehr stark auf ArbeitergeberInnenseite. Hier wurde immer wieder der Ruf laut, ArbeitnehmerInnen müssen flexibler agieren. In EU-weiten Erhebungen zeigte sich allerdings, dass österreichische ArbeitnehmerInnen bereits jetzt überdurchschnittlich flexibel sind. Sie arbeiten länger als vorgeschrieben, sind kurzfristig verfügbar oder kontrollieren Mails auch außerhalb der Arbeitszeiten.
Der durchaus positiv konotierte Begriff der Flexibilisierung sollte kein Deckmantel für Umstrukturierungen sein, die ausschließlich zu Lasten der ArbeitnehmerInnen umgesetzt werden können. Stichwortartig seien hier Verlängerungen der Arbeitszeiten, unbezahlte Überstunden oder selbstverständliche Bereitschaften genannt, die sich nur an den Interessen des Unternehmens orientieren, anstatt einen beiderseitigen Interessensausgleich zu schaffen.
Gründe, warum Unternehmen ehrliche, flexible Arbeitsmodelle anbieten und umsetzen sollten, hat Petra Köstinger in diesem Blogbeitrag aufgelistet.
Das sozialwissenschaftliche Netzwerk SOZNET beschäftigt sich mit Arbeitsforschung und Phänomenen wie der globalen Neuorganisation von Arbeit, internationaler Arbeitsmigration unter Berücksichtigung unterschiedlicher Lebensformen. Die ForscherInnen skizzierten unter anderem das Szenario einer 30-Stunden-Woche deren Auswirkungen auf uns Menschen und den Arbeitsmarkt.
Die Kultur der Überstunden
In Österreich gibt es eine Kultur der Überstunden. Im Jahr 2013 arbeiteten die ÖsterreicherInnen durchschnittlich knapp 42 Stunden pro Woche (EU-weit Platz 2, nur die BritInnen arbeiten noch mehr). Das entspricht 270 Millionen Überstunden im Jahr 2013 – ein Fünftel davon unbezahlt.
Dass mehr Stunden aber nicht automatisch mehr Leistung bedeutet, zeigt ein Modellversuch in Schweden: Ein Altenheim führte für PflegerInnen Sechs-Stunden-Tage bei vollen Bezügen.ein. Die Ergebnisse? "Die Pflegerinnen und Pfleger bezeichnen sich als gesünder, weniger gestresst, glücklicher, die Insassen als besser betreut." - Daniel Bernma, stellvertretender Bürgermeister der zweitgrößten Stadt Schwedens.
Arbeitszeitautonomie und Eigenverantwortung
Bei der flexiblen Gestaltung von Arbeitszeiten, je nach Anforderungen, Kompetenzen und Leistungsfähigkeit dürfen die damit unmittelbar in Zusammenhang stehenden Faktoren wie persönliche und familiäre Bedürfnisse nicht außer Acht gelassen werden. ArbeitnehmerInnengesetze sind Schutzgesetze. Durch eine klare Definition für unsere Arbeitsleistung von außen ist es einfach, diese strukturiert umzusetzen. Größere Freiheit fordert mehr Eigenverantwortung, sowohl was eine Über- als auch eine Unterbelastung angeht.
Die Neustrukturierung in Form von Flexibilisierung von Arbeit ist eine große Chance. Eine Chance, den Menschen wieder mehr in den Fokus zu rücken und die Vereinbarkeit mit der persönlichen Entwicklung, der Familie, individuellen Interessen und Lebenszyklen besser zu gewährleisten.
Ein Beispiel, für neue Formen der Arbeit auch die passenden Bedingungen zu schaffen, ist das Eltern-Kind-Büro in Wien. Der erste Coworking Space mit Kinderbetreuung bietet Eltern die Möglichkeit, produktiv zu sein, während die Kinder in der Nähe sind und betreut werden.
Gilda Polagnoli, Digital Consultant, Mitbegründerin von digitalista und Zweifachmama über die Familienfreundlichkeit der Digitalbranche und das Gefühl, in einer schnelllebigen Digitalwelt etwas zu verpassen:
" Ich persönlich denke, die Branche ist relativ familienfreundlich - ganz einfach aus dem Grund, weil sie jung und dynamisch ist und mit der Zeit geht. Es gibt Co-Working Möglichkeiten, flexiblere Arbeitszeiten usw. Das allein macht es schon freundlicher.
Während meiner letzten Karenz fühlte ich mich sehr stark unter Druck, möglichst bald wieder zurück zu gehen um ja nicht den Anschluss zu verlieren oder ganz raus zu sein. In den Zeit, in der man sich "nur" um das Kind kümmert, bekommt man schließlich noch mit was bei anderen passiert - Karrieren die gemacht werden, Beförderungen die jemand bekommt, Trends die man verpasst, Kunden die tolle neue Projekte machen wollen und von jemand anderem betreut werden. Daraufhin hat es ich mich im ersten halben Jahr, nachdem ich wieder zurück war in der Arbeit, ziemlich zerrissen mit der Doppelbelastung Job & Kind.
Langsam habe ich dann bemerkt, eigentlich ist es nicht viel, das man da verpasst. Kunden bleiben Kunden. Projekte kommen und gehen. Trends - gerade in der digitalen Branche - sind so schnelllebig, da braucht man gar nichts nachholen.
Diese Erfahrung hat mich jetzt, in der zweiten Karenz, sehr viel entspannter gemacht.
Ich habe wahrscheinlich noch mindesten 25-30 Jahre Berufsleben vor mir. Genug Zeit um noch alles zu machen, was ich vor habe."
Quellen:
Statistik Austria
http://www.arbeiterkammer.at
SOZNET
http://www.eurofound.europa.eu
http://www.petrakoestinger.com
http://www.bdv.at
Eltern-Kind-Büro