02.12.2015

Neues Arbeiten heißt flexibles Arbeiten / #Dossier_Arbeitswelt #4

BlogDossier 2 - ArbeitsweltDossiers

„Wann bist du heute mit deiner Arbeit fertig?“ Eine Frage, die häufig gar nicht mehr so einfach zu beantworten ist. Den Computer Freitagnachmittag abzudrehen, nach Hause zu gehen und Montagmorgen wieder mit der Arbeit zu beginnen, ist ein kaum mehr zeitgemäßes Arbeitsmodell. Unsere Arbeit ist mit zunehmender Digitalisierung auch flexibler geworden. Damit gehen neue Möglichkeiten einher wie unabhängiges Arbeiten von Ort und Zeit, unkomplizierte Vernetzung, gemeinsames Arbeiten an großen Projekten. Begleitet werden diese Chancen aber auch von Herausforderungen, die unsere intensive Auseinandersetzung mit dem Thema fordert, wie zum Beispiel ständige Erreichbarkeit, ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit oder die fehlende Option, offline zu sein.

Flexibilisierung von Arbeit meint grundsätzlich ein Abweichen von der sogenannten Normalarbeitszeit , die im Gesetz geregelt ist. Darüber hinaus fassen wir unter Flexibilisierung der Arbeit aber nicht nur die Dauer, sondern auch Ort, Verfügbarkeit und Leistungskontrolle zusammen. Das österreichische Gesetz erlaubt es aber, in Ausnahmefällen wie etwa bei großen Projekten Ausnahmen festzulegen um bei rasch wechselndem Pensum auch wirtschaftlich sinnvoll agieren zu können.

Veränderte Anforderungen, die gleichermaßen auf ArbeitnehmerInnen wie auf ArbeitgeberInnen treffen, verlangen immer stärker nach einem Aufbruch dieser Strukturen hin zu Rahmenbedingungen mit individuellen Ausgestaltungen, die einem zeitgemäßen Arbeitsmarkt gerecht werden.

Richard Haderer, angestellt, selbstständig, Videoblogger, Moderator und Zweifachpapa über seine Arbeit, sein Leben und wie sich sich das alles vereinbaren lässt:

„Ich arbeite in einem wahnsinnig sozialen Unternehmen, das viel Wert darauf legt, dass die MitarbeiterInnen zufrieden sind. Noch dazu mache ich meine Arbeit gut und habe so das Vertrauen meines Chefs gewonnen. Jetzt habe ich die Möglichkeit sehr flexibel zu arbeiten, ab und zu auch von zu Hause oder ich mache Dinge einfach Abends daheim. Durch die Arbeit im Digitalbereich ist man mit Notebook und Smartphone gut ausgerüstet, zu arbeiten. Mehr braucht es nicht. Deswegen liegt es nahe, nicht nur im Büro seinem Job nach zu gehen, sondern dort, wo man gerade ist. Einzig Zeitzonen machen einem manchmal einen Strich durch die Rechnung. Oder fehlendes WLAN.
Selbstdisziplin ist, glaube ich, das wichtigste. Man muss einfach schauen, dass die Sachen fertig werden und man sich nicht zu sehr von anderen Dingen ablenken lässt. Das ist zumindest für mich das Schwierigste.
Das Smartphone und damit die gesamte Onlinewelt ist immer bei mir. Aber immer öfter versuche ich – zumindest am Wochenende – 100% meiner Aufmerksamkeit meiner Familie zu widmen.“

Flexibilisierung durch Digitalisierung
Die „Out of Office“-MitarbeiterInnen

Eine Gesellschaft, die mit Dienstleistungen, Support und Service innerhalb kürzester Zeit rechnet, steigen die Erwartungen enorm. Einige dieser Bedürfnisse unserer modernen Zeit können mithilfe von digitalen Instrumenten schon gut erfüllt werden. E-Mails von unterwegs beantworten, Dokumente über jedes Device problemslos verschicken, Freigaben von jedem Ort der Stadt aus tätigen.

Darüber hinaus fehlen aber teilweise noch die grundlegenden Strukturen, die das neue Arbeiten an der Basis definieren und für alle Teilhabenden ein harmonisches Umfeld schaffen. Aktuell drehen sich nur einzelne Schrauben, das heißt, zum Beispiel: Wir sind immer verfügbar, erledigen Arbeit von unterwegs, außerhalb des Büros und oft außerhalb unserer Arbeitszeit. Berücksichtigt werden diese Leistungen aber oft noch nicht. Sobald Unternehmen einen Weg gefunden haben, diese neuen Arbeitsweisen in ein passendes Arbeitsmodell zu gießen, kann für beide Seiten eine angenehme und selbstverantwortliche Arbeitsumgebung entstehen.

Susanne Liechtenecker, CMO bei liechtenecker, Mitbegründerin von digitalista und Mama über Vereinbarkeit von Job und Familie in einer digitalisierten Arbeitswelt:

„Der Vorteil für mich als Mutter ist jener, dass ich nicht völlig aussteigen muss vom Job. Ich kann trotzdem erreichbar sein, mir die Zeit flexibel einteilen und von überall arbeiten. Das kann entlasten, weil man sich so manches frei einteilen kann.
Der Nachteil ist, dass man sich weniger leicht aus dem Geschehen rausnehmen kann. Das muss man schon sehr bewusst entscheiden und dieser Schritt fällt oft nicht leicht. Das kann zu einem Gefühl der Überbelastung führen.
Bei mir hat sich ein starker Wechsel in den Arbeitsgeräten ergeben. Mein Laptop wird viel weniger genutzt, dafür ist mein Smartphone wichtiger und praktischer als je zuvor, denn damit lassen sich in fast jeder Lebenslage – sei es beim Stillen, beim Spaziergang im Kinderwagen oder am Spielplatz und vor allem immer auch einhändig – Mails bearbeiten oder Recherchen durchführen.
Jetzt nach etwas mehr als einem Jahr und wieder mehr Flexibilität dank Kinderbetreuung bin ich wieder präsenter im Büro. Dennoch ist für mich auch eine fixe Arbeitszeit abends sobald der Kleine im Bett ist eingeplant.“

Die neue Arbeitswelt als Prekariat?

Die Diskussion über die Flexibilisierung der Arbeit fand anfangs sehr stark auf ArbeitergeberInnenseite. Hier wurde immer wieder der Ruf laut, ArbeitnehmerInnen müssen flexibler agieren. In EU-weiten Erhebungen zeigte sich allerdings, dass österreichische ArbeitnehmerInnen bereits jetzt überdurchschnittlich flexibel sind. Sie arbeiten länger als vorgeschrieben, sind kurzfristig verfügbar oder kontrollieren Mails auch außerhalb der Arbeitszeiten.

Der durchaus positiv konotierte Begriff der Flexibilisierung sollte kein Deckmantel für Umstrukturierungen sein, die ausschließlich zu Lasten der ArbeitnehmerInnen umgesetzt werden können. Stichwortartig seien hier Verlängerungen der Arbeitszeiten, unbezahlte Überstunden oder selbstverständliche Bereitschaften genannt, die sich nur an den Interessen des Unternehmens orientieren, anstatt einen beiderseitigen Interessensausgleich zu schaffen.

Gründe, warum Unternehmen ehrliche, flexible Arbeitsmodelle anbieten und umsetzen sollten, hat Petra Köstinger in diesem Blogbeitrag aufgelistet.

Das sozialwissenschaftliche Netzwerk SOZNET beschäftigt sich mit Arbeitsforschung und Phänomenen wie der globalen Neuorganisation von Arbeit, internationaler Arbeitsmigration unter Berücksichtigung unterschiedlicher Lebensformen. Die ForscherInnen skizzierten unter anderem das Szenario einer 30-Stunden-Woche deren Auswirkungen auf uns Menschen und den Arbeitsmarkt.

Die Kultur der Überstunden

In Österreich gibt es eine Kultur der Überstunden. Im Jahr 2013 arbeiteten die ÖsterreicherInnen durchschnittlich knapp 42 Stunden pro Woche (EU-weit Platz 2, nur die BritInnen arbeiten noch mehr). Das entspricht 270 Millionen Überstunden im Jahr 2013 – ein Fünftel davon unbezahlt.

Dass mehr Stunden aber nicht automatisch mehr Leistung bedeutet, zeigt ein Modellversuch in Schweden: Ein Altenheim führte für PflegerInnen Sechs-Stunden-Tage bei vollen Bezügen.ein. Die Ergebnisse? „Die Pflegerinnen und Pfleger bezeichnen sich als gesünder, weniger gestresst, glücklicher, die Insassen als besser betreut.“ – Daniel Bernma, stellvertretender Bürgermeister der zweitgrößten Stadt Schwedens.

Arbeitszeitautonomie und Eigenverantwortung

Bei der flexiblen Gestaltung von Arbeitszeiten, je nach Anforderungen, Kompetenzen und Leistungsfähigkeit dürfen die damit unmittelbar in Zusammenhang stehenden Faktoren wie persönliche und familiäre Bedürfnisse nicht außer Acht gelassen werden. ArbeitnehmerInnengesetze sind Schutzgesetze. Durch eine klare Definition für unsere Arbeitsleistung von außen ist es einfach, diese strukturiert umzusetzen. Größere Freiheit fordert mehr Eigenverantwortung, sowohl was eine Über- als auch eine Unterbelastung angeht.

Die Neustrukturierung in Form von Flexibilisierung von Arbeit ist eine große Chance. Eine Chance, den Menschen wieder mehr in den Fokus zu rücken und die Vereinbarkeit mit der persönlichen Entwicklung, der Familie, individuellen Interessen und Lebenszyklen besser zu gewährleisten.

Ein Beispiel, für neue Formen der Arbeit auch die passenden Bedingungen zu schaffen, ist das Eltern-Kind-Büro in Wien. Der erste Coworking Space mit Kinderbetreuung bietet Eltern die Möglichkeit, produktiv zu sein, während die Kinder in der Nähe sind und betreut werden.

Gilda Polagnoli, Digital Consultant, Mitbegründerin von digitalista und Zweifachmama über die Familienfreundlichkeit der Digitalbranche und das Gefühl, in einer schnelllebigen Digitalwelt etwas zu verpassen:

“ Ich persönlich denke, die Branche ist relativ familienfreundlich – ganz einfach aus dem Grund, weil sie jung und dynamisch ist und mit der Zeit geht. Es gibt Co-Working Möglichkeiten, flexiblere Arbeitszeiten usw. Das allein macht es schon freundlicher.
Während meiner letzten Karenz fühlte ich mich sehr stark unter Druck, möglichst bald wieder zurück zu gehen um ja nicht den Anschluss zu verlieren oder ganz raus zu sein. In den Zeit, in der man sich „nur“ um das Kind kümmert, bekommt man schließlich noch mit was bei anderen passiert – Karrieren die gemacht werden, Beförderungen die jemand bekommt, Trends die man verpasst, Kunden die tolle neue Projekte machen wollen und von jemand anderem betreut werden. Daraufhin hat es ich mich im ersten halben Jahr, nachdem ich wieder zurück war in der Arbeit, ziemlich zerrissen mit der Doppelbelastung Job & Kind.
Langsam habe ich dann bemerkt, eigentlich ist es nicht viel, das man da verpasst. Kunden bleiben Kunden. Projekte kommen und gehen. Trends – gerade in der digitalen Branche – sind so schnelllebig, da braucht man gar nichts nachholen.
Diese Erfahrung hat mich jetzt, in der zweiten Karenz, sehr viel entspannter gemacht.
Ich habe wahrscheinlich noch mindesten 25-30 Jahre Berufsleben vor mir. Genug Zeit um noch alles zu machen, was ich vor habe.“

Quellen:

Statistik Austria
http://www.arbeiterkammer.at
SOZNET
http://www.eurofound.europa.eu
http://www.petrakoestinger.com
http://www.bdv.at
Eltern-Kind-Büro